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Weniger Stress durch Video-Meetings – dank wissenschaftlicher Erkenntnisse

Wenn Sie von zu Hause aus arbeiten, dann kennen Sie dieses Dilemma: Sie möchten bei Video-Meetings die Kamera einschalten, um Ihr Engagement und Interesse am Job zu zeigen, doch gleichzeitig entsteht dadurch unweigerlich Stress für Sie.

Es sind bereits mehr als zwei Jahre vergangen, seitdem Millionen von Menschen auf ortsunabhängiges Arbeiten umgestiegen sind. Mittlerweile sind wir an dem Punkt angekommen, wo wir unser eigenes Gesicht am Bildschirm kaum mehr sehen können. Viele haben dieses Problem mittlerweile gelöst – und zwar mithilfe einer weitgehend unterschätzten Funktion von Video-Software-Anbietern.

Die Funktion, die auf den ersten Blick vielleicht nicht intuitiv wirkt, aber die Konzentration bei Video-Meetings verbessern kann, heißt in Zoom „Selbstansicht ausblenden“ und in Microsoft Teams „Mein Video ausblenden“. Aber warum wirkt es sich so positiv auf das Stresslevel aus, wenn man das eigene Video während eines Meetings ausblendet?

„Introvertierte Personen fühlen sich oft unsicher, wenn sie ihr eigenes Gesicht auf dem Bildschirm sehen“, erklärt Melinda Marcus, Autorin von Read the Zoom, in einem Gespräch mit Asana. „Dadurch werden sie in ihrer Konzentration und bei der Partizipation gehemmt.“

Melinda Marcus empfiehlt zudem, das eigene Gesicht auf dem Bildschirm mit einer Haftnotiz abzudecken, wenn Sie eine Videokonferenz über eine Software abhalten, die eine solche Funktion zum Ausblenden der Selbstansicht nicht anbietet. Am besten nutzen Sie die Haftnotiz auch gleich für einen motivierenden Spruch oder eine Erinnerung. „Ich lege meinen Kunden ans Herz, etwas auf dem Zettelchen zu vermerken, zum Beispiel ‚Lächeln!‘ oder ‚Blickkontakt halten!‘. Jedenfalls eine Erinnerung, die sich positiv auf den Austausch mit den Kollegen während der Videokonferenz auswirkt“, erläutert Marcus.

„Aber warum kann ich die Kamera nicht einfach ausschalten?“

Zu Beginn der pandemiebedingten Lockdowns bestanden Führungskräfte noch darauf, dass Teilnehmer ihre Videos bei Meetings einschalteten. Je länger sich die Zeit des Arbeitens von zu Hause aus aber hinzog, desto mehr wurde deutlich, dass diese Anforderung nicht mehr zu den Gegebenheiten passte. Die Mitarbeiter hatten sich an das neue Modell gewohnt, arbeiteten an unterschiedlichen Orten in ihren privaten Räumlichkeiten und viele mussten sich um Kinder oder betagte Eltern kümmern.

Führungskräfte, die zunächst an ihrer Forderung festhielten, Mitarbeiter müssten sich bei Videokonferenzen stets zeigen, wurden bald als realitätsfremd empfunden. Schließlich mussten sie sich der neuen Situation anpassen. Und auch wissenschaftliche Daten unterstützen diese Vorgehensweise: Sie zeigten, dass sich das Einschalten der Kamera während Meetings belastend auf die Teilnehmer auswirkt.

Wissenschaftlich bewiesen: Durch das Abschalten Ihrer Kamera während Meetings reduzieren Sie Ihr Stresslevel

„Müdigkeit wirkt sich auf die Leistung des aktuellen und des darauffolgenden Tages aus“, schreibt Allison Gabriel, Ph.D., Professorin für Management und Organisation an der University of Arizona. „Wenn Mitarbeiter ihre Kameras während Meetings eingeschaltet lassen oder dazu angehalten werden, geben sie an, erschöpfter zu sein als ihre Kollegen, die ohne Kamera teilnehmen.“

Gabriel und ihre Kollegen überprüften für ihr Experiment mehrere Hypothesen. Eine davon lautete: „An Tagen, an denen Mitarbeiter bei virtuellen Meetings ihre Kamera nutzen, fühlen sie sich erschöpfter (verglichen mit Meetings ohne eingeschaltete Kamera).

Und mit dieser Hypothese sollten sie Recht behalten: Menschen sind erschöpfter, wenn sie bei virtuellen Meetings die Kamera einschalten. Die Ergebnisse der Forschungsgruppe wurden 2021 in der August-Ausgabe vom Journal of Applied Psychology publiziert.

„Diese Form der Erschöpfung korreliert mit weniger Engagement und Partizipation bei Meetings. Tatsächlich haben sich Teilnehmer mit eingeschalteten Kameras also weniger eingebracht als Teilnehmer ohne Kamera. Das widerspricht der bisherigen Überzeugung, dass es Kameras braucht, um sich bei virtuellen Meetings entsprechend zu beteiligen“, schreibt Gabriel in ihrer Studie.

Die Studie wurde mit 103 Personen durchgeführt, die insgesamt 1.408 von 2.033 möglichen Arbeitstagen für die Datenerhebung beisteuerten. Die Teilnehmer waren überwiegend weiblich (56,3 %) und weiß (71,8 %). Das Durchschnittsalter lag bei 41,3 Jahren und durchschnittlich waren die Teilnehmer seit knapp drei Jahren bei ihrem derzeitigen Unternehmen angestellt. Unter ihnen gab es eine großes Spektrum an Arbeitsbereichen: IT-Experten waren ebenso vertreten wie Software-Entwickler, HR-Koordinatoren und Betriebsleiter. 48,8 % waren in leitenden Funktionen tätig.

„Tatsächlich haben sich Teilnehmer mit eingeschalteten Kameras also weniger eingebracht als Teilnehmer ohne Kamera. Das widerspricht der bisherigen Überzeugung, dass es Kameras braucht, um sich bei virtuellen Meetings entsprechend zu beteiligen.“

Professorin für Management und Organisation an der University of Arizona

Sahar Yousef, Ph.D., kognitive Neurowissenschaftlerin und Dozentin an der Haas School of Business der UC Berkeley, hat in einem Artikel für Asana bereits über die Fusiform Face Area (FFA), also den Bereich im Gehirn geschrieben, der für die Erkennung von Gesichtern zuständig ist. „Dieser Bereich kann nicht abgeschaltet werden, was zur kognitiven Belastung beiträgt, die Sie spüren“, erklärt Yousef.

Das Ausschalten der Kamera kann einen falschen Eindruck vermitteln

Während wissenschaftliche Daten dafürsprechen, die Kamera bei virtuellen Meetings nicht einzuschalten, sieht es in der Realität noch anders aus. In vielen Fällen wird man Sie nach wie vor bitten, Ihre Kamera bei Video-Meetings einzuschalten.

Melinda Marcus, die Autorin von Read the Zoom, erklärt im Gespräch mit Asana auch, dass eine ausgeschaltete Kamera während eines virtuellen Meetings einen falschen Eindruck erwecken könnte. Oder noch schlimmer: Man könnte Ihre guten Ideen versehentlich einem anderen Teilnehmer zuschreiben.

„Ich empfehle es nicht, die Kamera auszuschalten, da dies von anderen Teilnehmern oft nicht positiv aufgefasst wird. Es könnte auch dazu führen, dass man ganz vergisst, dass Sie auch dabei sind“, fügt Marcus hinzu, bevor sie ein Schreckensszenario für die Geschäftswelt beschreibt. 

„Selbst, wenn Sie Ideen beisteuern, könnten diese später anderen Teilnehmern zugeschrieben werden, weil man sich an Gesichter erinnert, die man beim Meeting gesehen hat“, so Marcus.

Wissenschaftliche Daten weisen darauf hin, dass das Ausblenden der Selbstansicht bei Video-Meetings das Stresslevel senkt

All das führt unweigerlich zur Frage: Ist das Ausblenden der Selbstansicht eine gesunde Möglichkeit für Personen, die ihr Stresslevel reduzieren, aber für ihr Vorankommen auf der Karriereleiter ihr Gesicht zeigen wollen?

„Die kurze Antwort lautet: Ja“, beginnt Gabriel, die Autorin der Studie. „Ich bin absolut überzeugt davon, dass das Ausblenden der Selbstansicht eine Möglichkeit ist, das Wohlbefinden zu steigern und Stress [bei Video-Meetings] bis zu einem gewissen Grad zu reduzieren.

„Bei unserer Studie haben wir diese Option nicht berücksichtigt, aber viele Personen haben uns nach der Publikation kontaktiert und diese Möglichkeit vorgeschlagen“.

„Ich bin absolut überzeugt davon, dass das Ausblenden der Selbstansicht eine Möglichkeit ist, das Wohlbefinden zu steigern und Stress bis zu einem gewissen Grad zu reduzieren.“

Allison Gabriel, Professorin für Management und Organisation an der University of Arizona

„Bei Video-Meetings muss man mehr Energie für die Selbstdarstellung aufbringen“, so Gabriel. „Indem Sie Ihre Selbstansicht ausblenden, können Sie auf einfache Weise einen Teil dieser Energie einsparen.“


Kassondra Glenn, Therapeutin und ausgebildete Sozialarbeiterin (mit Masterabschluss) erklärt im Gespräch mit Asana, dass bei der persönlichen Kommunikation die gesamte Aufmerksamkeit auf das Gegenüber gerichtet wird. Dieses natürliche Phänomen wird gestört, wenn wir uns bei virtuellen Meetings selbst ständig sehen können. 

„Plötzlich achtet man nur mehr auf das eigene Aussehen und den Gesichtsausdruck, den man gerade macht“, sagt Glenn. „Dieser sogenannte Hyperfokus fördert Angstgefühle und Unsicherheit. Wenn wir die Selbstansicht ausblenden, ähnelt die Situation mehr einem persönlichen Gespräch und hilft uns, unsere Aufmerksamkeit wieder auf unseren Gesprächspartner zu lenken.“

Kara Nassour, ausgebildete Therapeutin in Austin, Texas, führt den Großteil ihrer Therapiestunden über Zoom durch und unterstützt Klienten, die sich unsicher fühlen, wenn sie bei virtuellen Meetings die Kamera längerer eingeschaltet lassen müssen. Gemeinsam versuchen sie, diese Unsicherheiten zu bewältigen. Bestehender Stress bei virtuellen Meetings nimmt nämlich mit jedem weiteren Meeting zu.

Nassour weist darauf hin, dass die Videoansicht verzerrt sein und dadurch unsere Verunsicherung fördern kann. Wenn Sie merken, dass auch Sie von Ihrem eigenen Bild extrem abgelenkt werden oder sich zu viele Gedanken darüber machen, was andere über Sie denken, empfiehlt Nassour, die Selbstansicht auszublenden oder Ihre Kamera auszuschalten: „Wenn es Ihr Arbeitsumfeld erlaubt, probieren Sie die verschiedenen Möglichkeiten durch und finden Sie heraus, was für Sie am besten funktioniert“.


Ein Mitarbeiter von Zoom erzählt im Gespräch mit Asana, dass es die Funktion „Selbstansicht ausblenden“ bereits seit über fünf Jahren gibt. Für Nutzer von Microsoft Teams hat das Unternehmen die „Mein Video ausblenden“-Funktion im Januar 2022 eingeführt. Cisco WebEx bietet darüber hinaus eine Möglichkeit, die bevorzugten Videoeinstellungen zur Selbstansicht anzupassen.

Und natürlich gibt es immer noch Haftnotizen zur schnellen Abhilfe.

Sie können diesen Artikel in Englisch, Französisch, Portugiesisch, Spanisch oder Japanisch lesen.

Special thanks to Allison Gabriel, Kassondra Glenn, Melinda Marcus und Kara Nassour.

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