de

Warum die Zukunft der Arbeit von unserer „digitalen“ Körpersprache abhängt

Erica Dhawan, Autorin und Unternehmensberaterin, sitzt inmitten von Umzugskartons.

Ein paar Dinge hat sie gleich als Erstes ausgepackt: Ein Bücherregal, eine Zimmerpflanze, ein Ringlicht, ein Stativ und eine 4K-Videokamera – alles Gegenstände, die für Videokonferenzen notwendig sind. Dhawan ist gerade von der Upper East Side in Manhatten nach Florida gezogen. Diese moderne Ausrüstung ist heute die Grundausstattung am Arbeitsplatz – und so hat sie auch als Erstes ihren Platz im neuen Zuhause der Autorin gefunden. (Das Interview mit Asana führte sie zwischen zwei virtuellen Keynotes, die sie für eine Investmentfirma und ein Technologieunternehmen hielt.)

„Ich habe gemeinsam mit meinem Mann und meinen beiden Kindern fast 15 Jahre in New York gelebt“, erzählte mir Erica bei einem kürzlich geführten Telefonat am Nachmittag eines Arbeitstages. „Aufgrund der Entwicklung hin zum ortsunabhängigen Arbeiten haben wir uns für einen Umzug nach St. Petersburg, Florida, entschieden. Die Entscheidung ergab sich unmittelbar aus der Möglichkeit, dass plötzlich eine Vielzahl an Personen jederzeit und von überall aus arbeiten können, ohne dafür eine erfolgreiche Karriere opfern zu müssen. Ein absolutes Novum. Das hätte ich vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten.“

Erica Dhawan, Autorin von Digital Body Language.

Erica Dhawan ist die Autorin von Digital Body Language: How to Build Trust and Connection, No Matter the Distance (dt. Digitale Körpersprache: So fördern Sie Vertrauen und Verbindung unabhängig von der Distanz). Das Buch erschien 2021 und beinhaltet viele praktische Tipps, um unsere Fähigkeiten in einem Bereich zu verbessern, der für viele von uns noch praktisch ein weißer Fleck auf der Landkarte ist – die digitale Kommunikation.

Nachdem ich ihren Wall Street Journal-Bestseller in den Tagen vor unserem Gespräch gelesen hatte, fühlte ich mich in meinem Verhalten wirklich verstanden, im Guten wie im Schlechten. Erica Dhawan lässt die Erfahrungen aus ihrer Beratertätigkeit einfließen und streut Anekdoten ein, die mich manchmal mit einem sehr warmen, dann wieder mit einem vernichtenden Gefühl zurückgelassen haben.

In den vergangenen zwei Jahren schrieb sie auch den Artikel „Why the Hybrid Workforce of the Future Depends on the ‘Geriatric Millennial’“ für die Online-Plattform Medium, der rasend schnell bekannt wurde, und „Ignoring a Text Message or Email Isn’t Always Rude. Sometimes It’s Necessary“, eine Stellungnahme in der New York Times. In beiden setzte sie sowohl Humor als auch Verletzlichkeit ein, um mit den Klischees über die digitale Kommunikation aufzuräumen.

Der Rat, den Erica ihren Lesern in diesen Artikeln mitgibt, passt genau zu unserer Zeit (Publishers Weekly schreibt, dass Erica Dhawans „energiegeladener Rat genau zur richtigen Zeit kommt“. Im Zentrum ihrer praktischen Überlegungen zu Fragen wie „Wie viele Ausrufezeichen sollte ich verwenden?“ und „Wann ist ein Emoji angebracht?“ stehen Grundsätze, die viele von uns bereits aus Kindheitstagen kennen, wie zum Beispiel seinem Gegenüber mit einem Vertrauensvorschuss und Achtsamkeit zu begegnen.

Aber warum geben wir anderen keinen Vertrauensvorschuss oder interpretieren in eine E-Mail, dass der Verfasser verärgert ist? Während unsere Jobs immer digitaler geworden sind, konnten unsere Kommunikationsfähigkeiten nicht mit dieser rasanten Entwicklung mithalten.

„Um uns gegenseitig zu verstehen, haben wir uns über sehr lange Zeit auf informelle Körpersprache verlassen.“

„Um uns gegenseitig zu verstehen, haben wir uns über sehr lange Zeit auf informelle Körpersprache verlassen“, erklärt Erica Dhawan auf meine Frage, warum diese alten Formen der Kommunikation vergessen scheinen, sobald es um digitales Verhalten geht.

„Wir kennen die grundlegenden Regeln der Körpersprache bereits aus unserer Kindheit, die digitale Körpersprache hingegen ist Neuland für uns. Es gab dafür noch kein Regelwerk, also haben wir viele Fehler gemacht. Der ungezwungene Umgang miteinander wurde zu einer Achtlosigkeit.“

„Ich habe die Arbeit an diesem Buch begonnen, weil ich den zunehmenden Bedarf erkannt habe. Mit dem Vormarsch von Tools wie Asana kommt der digitalen Kommunikation eine zentrale Rolle am Arbeitsplatz zu.“

Im Anschluss finden Sie das Interview mit Erica Dhawan, das wir im Interesse von Kürze und Klarheit überarbeitet haben.


Asana: Sollte konstruktives Feedback immer telefonisch vermittelt werden, um Missverständnisse zu vermeiden? 

Erica Dhawan: Forschungen zeigen, dass der Tonfall bei bis zu 50 % der schriftlichen digitalen Kommunikation falsch interpretiert wird. Wenn ich jemanden persönlich vor mir sehe oder zumindest seine Stimme höre, merke ich, ob jemand begeistert oder kurz davor ist, in Tränen auszubrechen. Wenn wir eine E-Mail losschicken, gehen all diese gewohnten Hinweise verloren.

Ich empfehle, schnell zum Telefon zu greifen, ein kurzes Videotelefonat oder ein persönliches Gespräch zu führen. Und denken Sie immer daran, dass es bei Feedback um die Leistung, nicht die Person geht. 

Beginnen Sie mit dem positiven Teil: Was läuft gut? Erklären Sie dann, wo Sie Kritikpunkte an der Arbeit haben und warum. Ich nenne es nicht Feedback, sondern „Feed forward“, (wenn man so möchte Vorwärts- statt Rückmeldung), um den Blick in die Zukunft, statt in die Vergangenheit zu richten. Dabei bespreche ich auch zwei To-dos, die wir bis zum nächsten Mal angehen müssen.

In Ihrem Buch erwähnen Sie drei Gesetze der digitalen Körpersprache: sichtbare Wertschätzung, achtsame Kommunikation und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Welchen dieser Werte sollten Manager vor allem beachten, sollte die aktuelle wirtschaftliche Abwärtsbewegung in einer Rezession münden?

Ganz eindeutig: achtsame Kommunikation. Effektive digitale Kommunikationsfähigkeiten sind ausschlaggebend dafür, ob eine Person als Leistungsträger anerkannt wird, wer Unterstützung bekommt und wer in Zeiten der Rezession befördert wird.

„Menschen wünschen sich absolute Klarheit.“

Menschen wünschen sich absolute Klarheit, damit sie wissen, was von ihnen verlangt wird und wie sie es erledigen sollen. Dann können sie den gewünschten Auftrag ausführen.

Denken Sie, dass es genügend Führungskräften gelingt, in diesen wirtschaftlich besorgniserregenden Zeiten für ein psychologisch sicheres Arbeitsumfeld zu sorgen?

Nein, ich denke nicht, dass das viele schaffen. Wir alle haben jetzt die große Chance, daran zu arbeiten, wie wir für psychologische Sicherheit sorgen. Bisher haben wir Vertrauen über das gegenseitige Verständnis unserer Körpersprache aufgebaut, bei einem Gespräch auf dem Gang oder beim Warten an der Kaffeemaschine. In einer hybriden Arbeitswelt müssen Führungskräfte solche zwischenmenschlichen Momente schaffen, ganz gleich, wie weit die einzelnen Teammitglieder voneinander entfernt sind. Wir nennen sie hybride Kaffeemaschinenmomente.

„Das Schaffen von hybriden Kaffeemaschinenmomenten stärkt das Vertrauen und die psychologische Sicherheit in unserer Arbeitskultur.“

Das Schaffen von hybriden Kaffeemaschinenmomenten stärkt das Vertrauen und die psychologische Sicherheit in unserer Arbeitskultur. Wir müssen diese Chance, die sich uns jetzt bietet, beim Schopf packen.

Gibt es traditionelle Formen der Körpersprache, die sich Millenials und Mitarbeiter der Generation Z von älteren Generationen abschauen sollten?

Ältere Teammitglieder können ihren jüngeren Kollegen viel über traditionelle Körpersprache beibringen. Sie haben noch ein Arbeitsumfeld kennengelernt, das es erforderte, die Zweifel eines Kunden in einem persönlichen Gespräch von seinem Gesicht abzulesen. Sie wissen noch, in welchen Situationen man am besten zum Telefon greift. Und sie erkennen am Blick des Gesprächspartners, wenn ein Strategiewechsel im Gespräch notwendig ist.

„Ältere Mitarbeiter können ihren jüngeren Kollegen zeigen, wie und wann man erfolgreich zum Telefonhörer greift.“

Weiterführende Informationen:

Wie sollten ältere Generationen an das Thema digitale Körpersprache herangehen?

Slack, eine Textnachricht oder eine E-Mail anstelle eines Telefonats? Es ist wichtig, hier die richtige Entscheidung zu treffen und den Unterschied zwischen den verschiedenen Kommunikationskanälen zu kennen!

Und selbst wenn Sie bei einem Videogespräch gerne die Gesichter aller Teilnehmer sehen – bedenken Sie, dass introvertierte Mitarbeiter beim Schreiben besser denken können als beim Sprechen; sie kontaktieren Sie wahrscheinlich lieber über Slack oder E-Mails, als sich beim Meeting zu Wort zu melden.

Nehmen Sie deshalb nicht an, dass Ihre Mitarbeiter nicht engagiert wären. Es fällt ihnen einfach leichter, sich auf andere Weise auszudrücken.

„Menschen drücken sich auf unterschiedliche Weise aus.“

Einige Mitarbeiter sprechen auch mit einem anderen Akzent. Manchen ist das unangenehm, weshalb sie sich in Meetings nicht so gerne einbringen und die schriftliche Kommunikation bevorzugen. Gehen Sie nicht davon aus, dass sie kein Interesse hätten.

„Freunden Sie sich damit an, dass es unbequeme Situationen gibt.“

Freunden Sie sich damit an, dass es unbequeme Situationen gibt. Sie müssen sich heute nicht mehr nur auf das persönliche Gespräch und die Körpersprache dabei verlassen und haben jetzt die Möglichkeit, mit all diesen Kanälen inklusiver zu kommunizieren. Selbst bei der Körpersprache bei persönlichen Gesprächen gibt es enorme Verzerrungseffekte. So hören wir Personen mit einer tiefen Stimme eher zu, ebenso wie größeren Menschen oder jenen, die zur Mehrheit im Raum gehören oder den Akzent sprechen, der im Raum am häufigsten vertreten ist. Wenn wir digitale Kommunikation richtig einsetzen, können wir vielen dieser unbewussten Voreingenommenheiten effektiv begegnen.

Sollten Führungskräfte neue Mitarbeiter während der Einführungsphase besser darüber aufklären, wie und wann sie Benachrichtigungen für die im Unternehmen verwendeten Apps abschalten können? 

Führungskräfte müssen klar vorgeben, welche Antwortzeiten von den Mitarbeitern auf welchen Kanälen erwartet werden. Ebenso sollten sie ihr Team dazu auffordern, bestimmte Zeiten festzulegen, zu denen die Mitarbeiter nicht antworten müssen.

Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?

Ich sehe in der Zukunft der Arbeit Führungskräfte, die einen optimalen Weg gefunden haben, wie ihre Teams so effizient wie möglich die wichtigsten Arbeitsvorgänge erledigen können – jederzeit und von überall.

„Ich sehe in der Zukunft der Arbeit Führungskräfte, die einen optimalen Weg gefunden haben, wie ihre Teams so effizient wie möglich die wichtigsten Arbeitsvorgänge erledigen können.“

Ich denke, dass man zukünftig das Beste aus den Mitarbeitern herausholen wird und Klarheit darüber schafft, welche Aufgaben in welchem Setting (virtuell, ortsunabhängig oder gemeinsam im Büro) erledigt werden. Es ist wichtig, hier genau zu unterscheiden. Sie sollten nicht den ganzen Tag hinter verschlossenen Türen in Ihrem Büro sitzen und nicht für Fragen Ihrer Mitarbeiter verfügbar sein, weil Sie von einem Videoanruf zum nächsten übergehen. Nutzen Sie die Büroräumlichkeiten für Brainstorming-Sitzungen, Feedback und die Einführung neuer Mitarbeiter. Und vor allem: Schaffen Sie Kaffeemaschinenmomente – und genießen Sie sie.

Nutzen Sie virtuelle Zeit für produktivere Tätigkeiten: Verwenden Sie schriftliche Kommunikation für den Austausch mit introvertierten Mitarbeitern, die sich bei Meetings eher im Hintergrund halten. Oder lassen Sie jeden Mitarbeiter für sich nachdenken, um dem Phänomen „Gruppendenken“ keinen Raum zu geben.

Bei Meetings sollten wir mit den anwesenden Personen im Raum genauso inklusiv umgehen, wie mit den virtuell zugeschalteten Teilnehmern. Ich empfehle bei hybriden Meetings, einen Moderator vor Ort und einen Moderator für den „virtuellen Raum“ einzusetzen. Letzterer leitet die erste Hälfte des Meetings, um das Phänomen „Proximity Bias“ (Tendenz, Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung bevorzugt zu behandeln) im Keim zu ersticken.

Wie gut sind Manager darauf vorbereitet, diese vielschichtige Strategie umzusetzen, die Sie gerade beschrieben haben? Ich denke ja, dass vielen Unternehmen nichts anderes übrig bleibt, als sie weitestgehend umzusetzen, da sich ihre Mitarbeiter andernfalls nach einem anderen Job umsehen werden.

Ich denke, dass wir uns diesbezüglich nach wie vor noch im wilden Westen befinden. Dieser umfassende Wandel hat erst vor zwei Jahren begonnen. Es erinnert mich ein bisschen an die Anfangszeiten von Facebook, als wir einander noch ständig angestupst haben.

Wir müssen uns überlegen, welches Risiko wir eingehen, wenn wir keine Kultur der effektiven digitalen Kommunikation aufbauen. Führungskräfte müssen die digitale Körpersprache als zentralen Aspekt ernst nehmen.


Ihr Interesse ist geweckt, und Sie möchten mehr über Erica Dhawan erfahren? Besuchen Sie ihre Website oder ihre Profile auf LinkedInInstagram, und Twitter. Zudem hat sie auch einen Online-Kurs zum hybriden Arbeiten entwickelt.

Sie können diesen Artikel in Englisch, Französisch, Portugiesisch, Spanisch oder Japanisch lesen.

Special thanks to Erica Dhawan, Autorin von „Digital Body Language: How to Build Trust and Connection, No Matter the Distance“, 2021 im Verlag St. Martin’s Press erschienen.

Would you recommend this article? Yes / No